Bedeutung des Kindeswillens bei der Regelung des Besuchsrechts

Bedeutung des Kindeswillens bei der Regelung des Besuchsrechts

27. Mai 2020

1. Anspruch auf angemessenen persönlichen Verkehr
Gemäss Art. 273 ZGB haben Eltern, denen die elterliche Sorge oder Obhut nicht zusteht, und das minderjährige Kind gegenseitig Anspruch auf angemessenen persönlichen Verkehr. Die Beziehung der Kinder zu beiden Eltern ist von hohem Wert und spielt bei der Identitätsfindung des Kindes eine bedeutende Rolle (BGE 122 III 404 E. 3a).

2. Berücksichtigung des Kindeswillens
Für die Regelung des Besuchsrechts ist der Wille des Kindes von grosser Bedeutung (BGE 124 III 90, LGVE 1998 I Nr. 4). Dazu sind die Kinder, wenn immer möglich und nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung spätestens ab einem Alter von sechs Jahren durch das Gericht oder die Kindesschutzbehörde, anzuhören, sofern keine anderen wichtigen Gründe dagegensprechen (BGE 131 III 553 E. 1, BGer 5C.63/2005 E. 1.2.3.). Der Kindeswille ist nicht nur bei der Ausgestaltung des persönlichen Umganges, sondern bereits bei der Frage, ob überhaupt ein Besuchsrecht eingeräumt werden soll, zu berücksichtigen (Art. 301 Abs. 2 ZGB; BGE 127 III 295).

Das Bundesgericht vertritt die Meinung, dass die Regelung des Besuchsrechts nicht einzig vom Willen des Kindes abhängen dürfe (BGE 127 III 295, BGer5A_331/2009 E. 2.2.2. ff., 5A_342/2008 E. 4.3.). Denn der Wille des Kindes entspricht nicht zwingend und regelmässig auch seinem Wohl. Das Gericht bzw. die Kindesschutzbehörde müssen beurteilen, inwieweit auf den geäusserten Willen des Kindes aufgrund seines Alters, seiner kognitiven Fähigkeiten oder etwa seiner Beeinflussbarkeit tatsächlich abgestellt werden kann.

Je älter ein Kind ist, desto eher ist bei der Ausgestaltung des Besuchsrechts seiner Meinung Rechnung zu tragen. In der Regel wird die rechtliche Urteilsfähigkeit in Besuchsrechtsbelangen spätestens ab einem Alter von zwölf Jahren angenommen (BGer 5C.293/2005 E. 4.2., BGer 5A_107/2007 E. 3., 5A_92/2009 E. 2.2.3.). Ab diesem Alter ist Kindern ein weitgehendes Mitbestimmungsrecht über das Besuchsrecht zu gewähren. Das Bundesgericht misst den Äusserungen von jüngeren Kindern (ca. 10 Jahre alt) betreffend die Besuchsregelung keine ausschlaggebende Bedeutung bei, da diese die mittel- bis langfristigen Folgen eines Kontaktabbruchs nicht abzuschätzen vermögen (BGer 5C.293/2005 E. 4.2.).

3. Zwangsweise Durchsetzung des Besuchsrechts
Lehnt ein urteilsfähiges Kind den Umgang kategorisch ab, so ist das Besuchsrecht aus Gründen des Kindeswohls auszuschliessen, «weil ein gegen den starken Widerstand erzwungener Besuchskontakt mit dem Zweck des Umgangsrechts im Allgemeinen ebenso unvereinbar ist wie mit dem Persönlichkeitsrecht des Kindes» (BGE 126 III 219, 124 III 90, BGer 5A_745/2015, 5A_755/2015, 5A_459/2015, 5C.250/2005, 5A_107/2007, 5A_367/2015).

Auch bei urteilsunfähigen Kindern ist mit Blick auf das Kindeswohl von einem gegen den starken Widerstand erzwungenen Kontakt abzusehen. Weigert sich das Kind ernsthaft, so ist eine zwangsweise Durchsetzung des festgesetzten Besuchsrechts nicht möglich, zumal aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes kein körperlicher oder psychischer Zwang angewendet werden darf. Den Ursachen für die Ablehnung der Besuchskontakte muss nachgegangen werden. Beruht die Weigerungshaltung auf eigenem Erleben (z.B. Gewalt) des Kindes, ist dies zu akzeptieren (BGE 126 III 219, BGer 5C.250/2005).

Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts sei bei ablehnender Haltung der Kinder zwar kein gerichtsübliches Besuchsrecht anzuordnen, den Kindern könne aber angesichts der schicksalhaften Eltern-Kind-Beziehung gleichwohl die Anordnung eines minimalen Besuchsrechts zugemutet werden. Die zwangsweise Durchsetzung des festgesetzten Besuchsrechts ist bei konstanter Weigerung des Kindes nicht möglich, es müssen andere Massnahmen, wie etwa die vorübergehende Sistierung des Besuchsrechts oder andere Kindesschutzmassnahmen, geprüft werden.

-MLaw Leutrime Asani, Rechtsanwältin

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