Ersatzfähigkeit des merkantilen Minderwerts bei Immobilien

Ersatzfähigkeit des merkantilen Minderwerts bei Immobilien

30. Juni 2020

1. Begriff des merkantilen Minderwerts
Unter einem merkantilen Minderwert versteht man die durch ein Schadensereignis verursachte Minderung des Verkehrswerts einer Sache, die unabhängig von deren technischen bzw. funktionellen Beeinträchtigung eintritt. Die Wertverminderung lässt sich regelmässig auf die Befürchtung zurückführen, dass verdeckte Mängel vorliegen könnten. Aber auch rein psychologische Ursachen kommen in Betracht. Charakteristisch ist insbesondere, dass sich der merkantile Minderwert infolge Zeitablaufs vermindert.

2. Ersatzfähigkeit bei Immobilien
Im Urteil vom 20. Mai 2019 (BGE 145 III 225 ff.) hat sich das Bundesgericht erstmalig damit befasst, ob ein merkantiler Minderwert bei einer Immobilie ersatzfähig ist. Im konkreten Fall galt es einen Wassereinbruch zu beurteilen, woraufhin die Eigentümer der betroffenen Liegenschaften einen Schadenersatzanspruch gegenüber der Generalunternehmung geltend gemacht haben. Das Bundesgericht stellte fest, dass sich ein merkantiler Minderwert grundsätzlich bei allen Sachen realisieren könne, bei denen der Markt infolge eines schädigenden Ereignisses mit einem weder technisch noch funktionell begründeten Preisabschlag reagiert. Die Ersatzfähigkeit ist dabei nicht pauschal, sondern je nach Art der Sache zu beurteilen.

Nach allgemeiner Verkehrsauffassung wird eine Immobilie infolge eines schadenstiftenden Ereignisses nicht langfristig als minderwertig angesehen. Es besteht aus Sicht des Eigentümers kein bleibender, sondern allenfalls ein bloss vorübergehender Schaden, der nach höchstens 15 Jahren bei der Immobilienbewertung bedeutungslos wird. Der vorübergehenden Natur eines Schadens aus merkantilem Minderwert wird bei Immobilien am besten dadurch Rechnung getragen, dass die Ersatzfähigkeit auf den Fall zu beschränken ist, dass eine konkrete Vermögensverminderung nachgewiesen wird.

Ein konkreter – im Reinvermögen des Geschädigten bleibender – Schaden kann in erster Linie dadurch entstehen, dass die Immobilie verkauft wird (geringerer Erlös). Ferner ist eine solche Vermögensminderung auch bei der Enteignung oder Zwangsverwertung denkbar, da auch hier die Bewertung der Immobilie massgebend ist. Im konkret zu beurteilenden Fall gelang den Klägern der Nachweis eines bleibenden Schadens im Reinvermögen allerdings nicht, weshalb die vorinstanzliche Klageabweisung vom Bundesgericht bestätigt wurde.

-MLaw Ralf Voger, Rechtsanwalt
-BLaw Alexander Lueger, Juristischer Mitarbeiter

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